Zurück in die frostige, trügerische Welt des Pols, wo jeder Flur des Mondscheinpalasts ein anderes Gesicht trägt und selbst das Schweigen tödlich sein kann.

„Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast“ von Christelle Dabos ist kein zweiter Anfang –
es ist ein tieferes Fallen.
Ein Hinabsinken in die wuchernden Lügen, die die Welt dort oben in sich trägt – in ihren verschneiten Sälen, ihren kristallenen Masken, ihren schweigenden Fluren.
Ophelia lebt nun unter Fremden.
Nicht mehr auf Anima, sondern als verlobte Schachfigur in einem Spiel, dessen Regeln sie nicht kennt.
Sie ist umgeben von Feindseligkeit, Höflichkeiten mit Klingen, höfischen Hierarchien, die sich anfühlen wie Ketten aus Glas – schön, durchsichtig, und messerscharf.
Sie ist nur „die kleine Verlobte“.
Ein Nichts. Ein Schatten ihres eigenen Schals.
Aber dann: Menschen verschwinden.
Einflussreiche Persönlichkeiten – einfach fort, als hätte der Palast sie verschluckt.
Niemand fragt. Niemand sucht. Nur Ophelia hört die leisen Schreie zwischen den Wänden.
Und wie ein leiser Wind beginnt sie, sich zu bewegen.
Sie sucht, sie liest, sie spürt – und gerät tiefer in das Netz der Unsichtbaren, der Vergessenen, der Ausgelöschten.
Und je mehr sie entdeckt, desto gefährlicher wird es.
Thorn, der rätselhafte Verlobte mit dem Blick wie Stahl und dem Herzen wie Stein, bleibt an ihrer Seite – distanziert, aber nicht gleichgültig. Zwischen ihnen wächst etwas. Keine zarte Blume – eher ein Moos, das sich in Mauerritzen klammert. Hartnäckig, unauffällig, lebendig.
Dieses Buch ist dunkler. Kälter.
Aber in all dem Gefrorenen liegt ein leises Aufglimmen:
Ophelia beginnt zu wählen. Nicht nur zu erdulden.
Sie wird nicht lauter – aber klarer.
Nicht stärker – aber unbeugsamer.
Am Ende ist sie nicht mehr nur eine Braut auf dem Spielbrett.
Sie ist eine Leserin der Welt geworden –
und sie hat verstanden, dass selbst ein Palast voller Lügen nie ganz vergessen kann, wer die Wahrheit kennt.
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